nichts rührt uns so an wie die alten Lieder und Geschichten in diesen Advents- und Weihnachtstagen, die von dem Kind im Stall erzählen, von Maria und Josef auf ihrer Herbergssuche, von den Hirten auf dem Felde und den Königen, die kommen, um das Kind anzubeten. Vieles davon ist uns tief vertraut, anderes leuchtet nur im Hintergrund auf.
So ist es mir bis jetzt mit Maria gegangen. Anders als im katholischen Glauben, wo sie einen zentralen Platz in der Frömmigkeit besitzt, spielt die Gottesmutter, die reine Magd, im evangelischen Glauben keine hervorgehobene Rolle mehr. Eine Anbetung ist sogar völlig ausgeschlossen. Dabei hat Luther doch immer mit herzlicher Zuneigung und großer Verehrung von Maria gesprochen. Für Luther ist Maria die exemplarisch Glaubende, denn sie ist der Inbegriff der Demut, ohne die kein rechter Glaube empfangen werden kann.
Meint: Vor Gott können wir nichts mitbringen oder etwas durch menschliche Leistung oder Arbeit erlangen. Glaube ist ein Geschenk. Das ist nun typisch evangelisch.
Deutlich wird das im Lobgesang Marias, im Magnificat in Lukas 2. In einer Auslegung, die dem 18-jährigen Herzog Johann Friedrich gewidmet ist, macht Luther deutlich, was Maria uns bedeutet. Dort lobt Maria Gott mit den Worten:
Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes, denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Namen heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht. Lukas 2, 46 ff.
Maria ist in Luthers Augen die vorbildlich Glaubende, weil sie sich Gott ganz anvertraut. Das ist weit davon entfernt, Frauen in der Gesellschaft die Rolle der Magd zuzuweisen oder sonst ein bestimmtes Rollenverständnis zu postulieren oder zu konstruieren. Im Gegenteil: Für Luther übernimmt Maria hier eine, wenn nicht die entscheidende Rolle in der Verkündigung. Mit ihrem Lobgesang weist sie weg von sich auf Gott hin. Gott macht gerecht. Verkündigung ist also nicht an Stand, Rang, Ansehen, Geschlecht, Vermögen oder eine sonstige menschliche Leistung gebunden. Und Demut und Niedrigkeit meint eben nicht, dass man sich vor Menschen klein macht oder dass Frauen in untergeordneten und (von Männern) festgelegten Rollen verharren. Im Gegenteil: Demut meint, unabhängig von Stand und Ansehen und Reichtum auf Gott schauen und seinem Wort gehorchen. Vor Gott gibt es keine Unterschiede. Das gibt eine unglaubliche Kraft und Freiheit.
Wir sind heute, was die Gleichberechtigung von Frau und Mann angeht, Gott sei Dank ein gutes Stück weiter. Für uns ist es z. B. selbstverständlich, dass Frauen alle Ämter, die diese Gesellschaft zu vergeben hat, innehaben dürfen. Auch eine Bundeskanzlerin ist uns selbstverständlich. Das hat lange gedauert und war für Luther noch nicht denkbar. So haben wir auch als evangelische Kirche lange gebraucht, bis wir Frauen die Ordination möglich machten und Pastorinnen auf die Kanzel steigen durften. Aus unserer heutigen Sicht ist das unverständlich: Ist doch Maria die erste Verkünderin. Gut, dass ihr weitere gefolgt sind und folgen. Sie machen unsere Verkündigung reicher. Auch das ist inzwischen gut evangelisch und ich möchte nicht mehr darauf verzichten. Luther hat dazu mit seiner Glaubensfreiheit die Grundlage gelegt.
Ihr Jörg Beckers
P.S.: In diesem Sinn passt es doch gut, dass unsere größte „neue“ Glocke Maria heißt und nun ihre Stimme erhebt, um mit wunderbarem Klang die Menschen zum Gottesdienst einzuladen.