Darf man sich über den Tod von Osama bin Laden freuen? Es gibt vieles im Leben, worüber man sich freuen darf. Aber darf man sich über den Tod von Osama bin Laden freuen? Das wird im Moment ja gerade diskutiert. Um es vorwegzunehmen, ich habe keine wirkliche Antwort gefunden, aber eine Zumutung ist mir beim Nachdenken in den Sinn gekommen.
Zunächst einmal: Es gibt keinen Zweifel, dass dieser Mann für seine Taten vor ein weltliches Gericht gehört hätte, weil er Tausende von Menschen auf dem Gewissen und unsagbares Leid im Namen Gottes in die Welt getragen hat. Und es gibt keinen Zweifel daran, dass er dafür zur Verantwortung gezogen werden musste. Aber darf man sich über seinen Tod freuen? Genugtuung – vielleicht, Erleichterung – gewiss, aber Freude? Ich persönlich empfinde eher Traurigkeit, dass ein Mensch so viel Unheil über die Welt gebracht hat und auch Traurigkeit, dass ein Geschöpf Gottes so am Willen Gottes vorbei lebt.
Nun ist das mit den Gefühlen so eine Sache – sie sind nämlich einfach da und man muss sich nicht verbiegen und tiefe Trauer heucheln, wenn man angesichts dieser Nachricht ein Gefühl der Freude empfindet. Wer kann z.B. den Angehörigen des 11. Sep- tember ein solches Gefühl verdenken? Und solche Gefühle kann man nicht einfach wegmachen. Es hat mit unserem angeborenen Sinn für Gerechtigkeit zu tun. Und das ist ja ein hoher Wert. Menschen, die unvorstellbar grausame Dinge planen und durchführen lassen, sollen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Aber wie soll das bei so schrecklichen Taten möglich sein? Wie sollen wir hier Gerechtigkeit herstellen? Ist es da ein Wunder, wenn Menschen hier Freude empfinden?
Uns Christen stellt sich diese Frage von Gott her. Mir ist eine Bibelstelle in den Sinn gekommen, die uns an diesem Punkt einiges zumutet. Gott mutet uns ja eine Menge zu und so auch dieses Jesus-Wort aus der Bergpredigt:
Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Matthäus 5, 44+45
Das ist doch eine ziemliche Zumutung. Alleine die Vorstellung für seine Feinde zu beten, ist doch ungeheuerlich. Und dann noch Liebe? Aber Jesus nimmt auf unsere Gefühle wenig Rücksicht. Vielleicht, weil aus solchen Gefühlen der Wunsch nach Rache und Vergeltung entspringt. Jesus weigert sich offensichtlich, das Spiel der Rache und Vergeltung mitzuspielen. Er will stattdessen den Kreislauf des Hasses und des Bösen durchbrechen. Liebe meint deshalb hier auch kein Gefühl, sondern eine innerliche Hal- tung, die nach Wegen sucht, das Böse zu überwinden. Diese Haltung gewinnen wir im Gebet. Besonders, wenn wir für unsere Feinde beten.
Wenn wir uns mit all dem, was uns bewegt in Gottes Hand stellen und ihm anheimlegen, dann sind wir eher in der Lage solche Gefühle der Rache zu überwinden. D.h. nicht, dass wir einen Menschen nicht zur Rechenschaft ziehen sollen. Aber jenseits der Gefühle, die wir angesichts schrecklicher Verbrechen empfinden, sollen wir nach Wegen zu suchen, Frieden und Heil zu schaffen. Rache und Vergeltung sind kein Mittel auf dem Weg dorthin. Es geht nicht um eine Befriedigung unserer Gefühle, sondern um den Versuch, Recht zu sprechen und Rechtsordnungen aufzubauen, die dem Willen Gottes entsprechen und der Gerechtigkeit am nächsten kommen.
Insofern wäre es besser gewesen, Osama bin Laden hätte sich vor einem Gericht für seine Taten verantworten müssen.
Schließlich gibt es Punkte, an denen eine angemessene Sühne mit menschlichen Mitteln nicht mehr herzustellen ist. Wir müssen uns dann bescheiden in den Mitteln der Strafe und dürfen die Gerechtigkeit Gott in die Hand geben. Das ist eine Zumutung – gewiss, aber eine, die hohe Werte im Auge hat und im Vertrauen auf Gott gelebt werden kann.
Eines ist jedenfalls sicher: Osama bin Laden steht nun seinem Schöpfer gegenüber, von dem wir Gerechtigkeit erwarten dürfen.
Jörg Beckers